Pro Sportakrobatik, pro Kritik

| 2. Juni 2010 | 6 Comments

Pro Sportakrobatik, pro Kritik

Es ist so sicher wie das „Amen“ in der Kirche: Sobald es um die Nominierung der deutschen Nationalmannschaft geht, fliegen die Fetzen. Das ist aber kein Problem, das die Sportakrobatik exklusiv hat: Im Fußball hieß es Kahn oder Lehmann, bei uns heißt es Rheinberger oder Bergmann, um die jeweiligen Formationen mal auf diese Namen zu reduzieren… 64 Kommentare in nicht mal vier Tagen auf dieser Webseite sind die Bilanz offensichtlichen Gesprächsbedarfs.

Manchmal kommen dabei sogar ganz neue Nutzer auf akrobastisch.de und äußern ihre Meinung, auch wenn sie sich im ersten Moment in der Bildzeitung wähnen. Diesen Vergleich verstehe ich übrigens als Kompliment. Die Bild ist schließlich die Zeitung mit der größten Reichweite in Deutschland. Vor allem im engeren Umfeld des DSAB ärgert es wahrscheinlich manche, dass ich gelegentlich Kritik übe und auch Kritik zulasse. Kritik an der deutschen Sportakrobatik, den Strukturen, den Funktionären und sogar den Sportlern. Bei regelmäßigem Besuch sollte aber jeder merken, dass es das Anliegen von mir und meiner Webseite ist, in erster Linie der Sportakrobatik zu dienen. Diese Webseite ist für die Sportakrobatik, nicht dagegen.

Pro Sportakrobatik. Das heißt aber nicht, dass es keine Diskussionen geben darf. Ganz im Gegenteil! Selbstgefälliger Stillstand hilft niemandem weiter. Deswegen müssen Probleme laut angesprochen und unbequeme Wahrheiten geäußert werden. Und zwar in alle Richtungen, in die der Sportler, die der Funktionäre und die der Verbände möglichst auf verschiedenen Ebenen. Konstruktive Kritik kann Verbesserungen bewirken. Zum Wohle der Sportakrobatik in Deutschland.

Es ist traurig, dass akrobastisch.de derzeit die einzige unabhängige deutsche Webseite für Sportakrobatik ist, die bundesweite Aufmerksamkeit genießt. Es ist traurig, dass fast nur hier der Normalo die Möglichkeit hat, seine Meinung zu äußern, Lob, aber auch Kritik und Verbesserungsvorschläge loszuwerden. Es ist traurig, dass sogar sportliche Aushängeschilder, erfolgreiche Trainer, und hochkarätige Funktionäre teils unter ihren echten Namen, teils anonym auf diesen Kanal zurückgreifen (müssen). Andererseits: Gerade weil es die einzige Seite dieser Art ist, liest hier eben auch das Präsidium des DSAB mit. Und diese Herren können ja einfach nicht übersehen, dass in puncto Nominierung immer wieder großer Gesprächsbedarf besteht. Vielleicht sind die vielen Zeilen ja nicht ganz umsonst und irgendwann reagiert der Bundesverband. Und sei es nur, dass er der Basis ein offenes Ohr schenkt.

Eine Diskussion über die Nominierung der Nationalmannschaft lässt sich leider nicht führen, ohne auch über Leistung zu sprechen. Das ist dann für die betroffenen Sportler oft nicht angenehm zu lesen. Ich kann das gut nachvollziehen und es tut mir auch Leid, als Betreiber dieser Seite in gewisser Weise verantwortlich zu sein für die psychischen Schmerzen, die die Akrobatinnen empfinden müssen. Aber auch wenn kein einziger deutscher Sportakrobat finanziell für seinen aufopferungsvollen Einsatz entschädigt wird und auch wenn es sich (meist) noch um sehr junge Menschen handelt: Zum Leistungssport gehört es aus meiner Sicht nun mal auch, mit Kritik umgehen zu lernen, egal ob sie berechtigt ist oder nicht.

Um auf die konkrete Situation am vergangenen Samstag zurückzukommen: Soweit ich das beurteilen kann, lagen die Leistungen der zur Auswahl stehenden Formationen so dicht beieinander, dass garantiert kein Trio auf der WM belächelt, während das andere bejubelt worden wäre. Gerade weil es so knapp war, ist doch auch völlig klar, dass so eine Entscheidung Emotionen weckt. Ist die Enttäuschung nicht nachvollziehbar? Ist es nicht schlichtweg menschlich, dass die Trainer, die Eltern, die Freunde und auch die Sportler selbst ihrer Enttäuschung Luft machen wollen und dabei vielleicht auch mal übers Ziel hinausschießen? Sie alle haben ja in letzter Zeit viel geopfert! Der SAV Mainz-Laubenheim hat jetzt sogar offiziell Einspruch beim DSAB eingelegt. Das dürfte wenig Erfolg versprechen: Soweit ich weiß, hat man keinen Anspruch auf eine Nominierung. Der DSAB kann letztlich schicken, wen er will. Im Kern geht es doch eigentlich auch gar nicht um die Entscheidung, sondern um die Umstände. Nicht was, sondern wie! Manche Kommentatoren haben ja den Eindruck, es hätte schon vorher festgestanden, dass das Württemberger Trio zur WM darf…

Das glaube ich explizit nicht! Aber: Jens Weinreich, der im Schnittfeld von Sport und Politik bloggt, würde es wahrscheinlich „vielfältige Lebenssachverhalte“ nennen, dass Bernd Hegele, der als Vizepräsident für Leistungssport im DSAB über die deutsche Nationalmannschaft entscheidet, einerseits die deutschen Interessen vertreten muss, andererseits aber eben auch als Chef der Sportakrobatik in Württemberg, als Chef der Sportakrobaten der TSG Hofherrnweiler und manchmal sogar als Vater gleichzeitig regionale bzw. persönliche Interessen hat. Oder eben, dass Kolev Senior einerseits als Bundestrainer objektiv sein soll, andererseits aber auch im Hinterkopf hat, dass Kolev Junior als Landestrainer von Württemberg entsprechende Erfolge vorweisen muss. Stopp! Nichts liegt mir ferner als den beiden vorwerfen zu wollen, dass sie sich parteiisch verhalten würden.  Es geht hier aber nicht nur um die Realität, sondern auch um die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Deshalb kann ich mich den diversen Kommentatoren nur anschließen, dass sich das Präsidium des DSAB Gedanken machen sollte, wie man den Anschein einer intransparenten und parteiischen Qualifikation künftig vermeidet. Die geschicktere Terminierung der Deutschen Meisterschaften könnte ein Anfang sein: Wenn auf einer deutschen Meisterschaft 20 Kampfrichter aus allen Lagern vor der versammelten nationalen Sportakrobatik über die WM-Nominierung entscheiden, wird die Kritik an der Rangfolge deutlich geringer ausfallen. Die betroffenen Sportler werden sich bedanken.

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Comments (6)

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  1. Olaf sagt:

    Mehr Wege kann man wirklich nicht aufzeigen. Danke!

    1*

  2. B. sagt:

    Na ja, ob man unbedingt nur die Deutschen Meisterschaften für die Nominierung zu Grunde legen kann ist fragwürdig. Die Vergangenheit zeigt es uns. Z.B. sollte die DM 2007 in Dresden als Nominierungswettkampf gelten. Obwohl das sächsische Mixed-Paar damals klar besser war, wurde es auf den zweiten Platz verschoben. Gleiches bei den DMM Jugend 2008. Obwohl Sachsens Starter alle fehlerlos blieben und nicht schlechter turnten als bei der DM kurz vorher, bekammen alle im Schnitt einen Punkt weniger. Es gewann Württemberg, trotz großem Fehler des Damenpaares. Auch „offizielle“ Wettkämpfe sind leider nicht objektiv. Nur eine DM sollte also nicht alleinige Grundlage sein.

  3. vivi sagt:

    hey Schipfel ich kann mich allen nur anschließen. Wiedermla ein gelungener Beitrag von dir 🙂
    Vor allem der letzte Absatz imponiert mir. Mit dieser Lösung wäre es wohl am fairsten und der Streit um das Vitamin-b würde aufhören.
    Es sollte doch auch so sein, dass jeder seine Meinung zur Nominierung sagen sollte und nicht ein Mensch, denn niemand kann die Meinung von vielen Menschen widergeben…
    Ich hoffe das die Nominierungen in Zukunft besser laufen werde, das es so einen besseren Zusammenhalt gibt und Nationalmannschaft nicht gegen aufgebrachte Menschen streiten.
    Ich finde auch jeder aus der Nationalmannschaft kann leicht reden, da sies schon geschafft haben, aber die Meinung anderer sollte man akzeptieren..
    Gelungener Artikel von dir Schipfel 🙂

  4. Soederberg sagt:

    Wie schon so oft, bringt dein Artikel die Sache auf den Punkt – und hilft damit der Sportakrobatik weiter!!“Bild“ hin und her, über die vielen Beiträge solltest du froh sein.Soviel ich weiß ist die Zugriffszahl auf eine Seite ein gutes Argument für potentielle Sponsoren.(Positiv gemeint!) Darum nicht traurig sein, daß du die einzige Seite repräsentierst,die ein offenes, noch einmal!(schlechte Syntax-ich weiß): offenes Forum zum Thema Sportakrobatik bietet. Aber- wenn die offizielle Verbandsseite im Netz etwas aktueller und gepflegter wäre und z.B. Kriterien für Nominierungen nicht nur für EM,WM, World Games und evtl. irgend wann einmal Olympia (falls das noch ein Thema ist)öffentlich machen würde, könnte die eine oder andere Unklarheit schon im Vorfeld ausgeräumt werden.Darüber hinaus würde man auch die Verbandsseite öfter mal anklicken, denn auch dort findet man interressante Beiträge, leider nicht immer zeitnah! Deine Ideen hinsichtlich der Terminierung oder Einbeziehung der Kampfrichter finde diskussionswert. Vielleicht sollte wir aber auch einmal die Erfahrungen verwandter Verbände-Turnen,Trampolin oder Gymnastik mit einbeziehen und einen entsprechenden Erfahrungsaustausch machen. Vielleicht hatten die ja mal ähnliche Probleme und haben Lösungen dafür gefunden. Ich persönlich als „alter“ Turner, habe keine Probleme mit Nominierungen durch die verantwortlichen Funktionäre, den Bundestrainer etc., da zu meiner Zeit immer das nationale Interesse bei allen Entscheidungsträgern im Mittelpunkt stand,davon gehe ich auch heute aus!! Keinem nützt die Nominierung des „zweiten Siegers“, denn erst dann machen wir uns lächerlich!! Ich bin überzeugt, nein ich weiß, das ist auch die Einstellung unserer Entscheider!!
    Zum Schluß bitte ich um Entschuldigung für den langen Beitrag,ich weiß, daß eigentlich in der Kürze die Würze liegt! Sorry!!

  5. Tina sagt:

    Hallo Sebastian, warum bewirbst du dich nicht bei einer großen Zeitung? Das Zeug hättest du dazu. Es müsste ja nicht gerade die „Bild“ sein!

  6. Kathrin sagt:

    Vielen Dank für den Artikel. Der letzte Absatz bringt noch einmal alles auf einen Punkt. Dem Artikel ist nichts mehr hinzuzufügen.

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