Martin Gerster, Chef der Sportakrobaten

| 23. Juni 2010 | 0 Comments

Martin Gerster

Die Delegiertenversammlung war fast schon zu Ende, als sich unter TOP 18 „Verschiedenes“ Werner Kasper zu Wort meldete: „Lieber Martin, auch wenn Du Sozialdemokrat bist und ich bekennender Konservativer, möchte ich Dir dennoch sagen: Wenn ich in Deinem Wahlkreis wohnen würde, Dich würde ich sofort wählen. Vielen Dank für Deine großartige Arbeit!“ Und ringsum nickten alle zustimmend. Eine „Liebeserklärung“ von den Präsidiumskollegen – mehr kann man als Quereinsteiger im Deutschen Sportakrobatik Bund (DSAB) wohl nicht erreichen. Spätestens seit er am vergangenen Samstag die Bilanz seiner ersten Amtszeit vorgetragen hat, weiß die deutsche Sportakrobatik, was sie Martin Gerster verdankt.

Fünfeinhalb Jahre ist Kurt Becker nun bereits tot, der von 1978 bis zu seinem Tod den DSAB anführte. Fast zwei Jahre dauerte damals die Suche des Bundesverbandes nach einer neuen Spitze: Keiner aus den eigenen Reihen sollte es sein, sondern ein gewichtiger Repräsentant, am liebsten ein einflussreicher Politiker, der sich in der Hauptstadt für die Sportakrobatik stark machen würde. Sogar die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die in Pfungstadt ihren Wahlkreis hat, unterstützte die Sportakrobaten bei deren Suche nach einem neuen Oberhaupt. Sie schlug ihren Parteifreund Gerster vor, der sich dann im September 2006 auch tatsächlich zum Präsidenten des DSAB wählen ließ. Der damals 35-jährige Journalist aus Biberach an der Riß war 2005 zum ersten Mal für die SPD in den Bundestag eingezogen. Als engagierter Sportler begeisterte er sich rasch für die Arbeit im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Inzwischen ist Gerster nach seiner Wiederwahl in den Bundestag 2009 sogar zum sportpolitischen Sprecher der SPD aufgestiegen.

Ständiger Kampf ums Geld

„Martin wer… ?“ So reagieren noch immer manche Sportakrobaten, Eltern, Fans und sogar Trainer, wenn man auf den Präsidenten des DSAB zu sprechen kommt. Keine Frage, allzu bekannt ist Gerster bei „seinen“ Sportakrobaten noch nicht, obwohl er schon seit vier Jahren an deren Spitze steht. Als aufstrebender Politiker hat er nicht die Zeit, jede Woche auf Turnieren und Meisterschaften den Grüß-August zu geben und stundenlang den Wettkämpfen zuzuschauen. Aus dem Sportbetrieb hält er sich fast gänzlich heraus. Das macht aber auch nichts. Auf der Delegiertenversammlung des DSAB am vergangenen Samstag führte er allen Anwesenden eindrucksvoll vor Augen, wie er sich für den Verband einsetzt und warum es für die deutsche Sportakrobatik ein unbeschreiblicher Glücksfall war, ihn als Präsidenten gewonnen zu haben: „Ich habe in den letzten drei Jahren hinter den Kulissen dafür gearbeitet, dass der DSAB weiterexistieren kann. Das war immer wieder ein harter Kampf: Eigentlich hätten die Fördergelder des Bundesministeriums des Inneren (BMI) für die nicht-olympischen Sportarten weiter reduziert werden sollen. Das konnten wir zum Glück abwenden und im Gegenteil sogar durchsetzen, dass unsere Zuschüsse von 26.000 auf 35.000 Euro jährlich aufgestockt wurden. Das war eine wichtige Botschaft in diesen schwierigen Zeiten. Zudem konnten wir die Gelder, die wir für unser Leistungssportpersonal erhalten, ebenfalls deutlich anheben. Das macht es uns möglich, unserem Bundestrainer Vitcho Kolev endlich ein menschenwürdiges Gehalt zu zahlen und außerdem auch einige professionelle Trainer in den Landesverbänden finanziell zu unterstützen.“

Natürlich kann Gerster nicht nur für die Sportakrobaten kämpfen, sondern setzt sich für den gesamten nicht-olympischen Sport ein. Als die Interessengemeinschaft der Nicht-Olympischen Verbände (IGNOV) im DOSB vom neuen Präsidenten der Sportakrobaten erfuhr, wählten sie ihn gleich in ihre Sprechergruppe. Seitdem ist Gerster nun ganz offiziell die Galionsfigur im Kampf der nicht-olympischen Sportarten um (sportpolitische) Anerkennung: „Im vergangenen Jahr war beispielsweise die Finanzierung der World Games ein wichtiges Thema im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Ursprünglich sollten die nicht-olympischen Verbände bzw. die Teilnehmer alles aus eigener Tasche bezahlen. Ich habe gedacht, das kann doch nicht wahr sein. Nach einem harten Kampf konnten wir aber durchsetzen, dass die 450.000 Euro Entsendekosten aus dem Bundeshaushalt beglichen wurden und das soll auch in Zukunft so bleiben. Angesichts von 130 Millionen Euro Sportförderung des BMI insgesamt sind solche Summen zwar nicht viel Geld, aber es herrscht nun mal ein extremer Verteilungskampf, bei dem die olympischen Verbände über deutlich mehr Stimmen verfügen. Aber nicht-olympischer Sport ist genauso Sport wie olympischer Sport und wir dürfen uns da nicht unterbuttern lassen!“

Es habe jedoch auch Rückschläge gegeben: „Dass wir Sportakrobaten im Anti-Doping-Bericht der NADA als einer von 19 Verbänden genannt werden, die gegen die Anti-Doping-Bestimmungen verstoßen haben, und 1.400 Euro Fördergelder zurückzahlen müssen, war natürlich ein gefundenes Fressen für meine politischen Gegner. Das darf nicht wieder vorkommen! Wir müssen ab jetzt alles ganz penibel umsetzen. Das sind wir dem Bund, aber auch uns selbst schuldig.“ Und Gerster wurde noch deutlicher: „Wenn wir in den nächsten Jahren wieder in diesem Anti-Doping-Bericht negativ genannt werden, wird das erhebliche Einschränkungen für die Sportakrobatik nach sich ziehen, nicht nur finanziell.“

Zwei Themen stehen auf der Agenda

Zu seiner Mission für die nächste Amtszeit hat Gerster es erklärt, Sponsoren für die Sportakrobatik zu gewinnen: „Wenn man sich die finanzielle Situation des DSAB anschaut, stellt man fest, dass 80 Prozent der Mittel aus Bundeszuwendungen stammen. Das macht mir Angst, gerade jetzt, da in Berlin über Sparpakete geredet wird. Auch die Sportförderung wird dabei nicht ganz ungeschoren davonkommen, manche reden jetzt sogar schon davon, die Förderung der nicht-olympischen Sportarten komplett zu streichen. Dagegen werde ich mit aller Macht kämpfen, aber was ist, wenn trotzdem die Mittel drastisch gekürzt werden? Dann steht die Sportakrobatik in Deutschland vor dem Aus. Deswegen müssen wir Sponsoren an Land ziehen! Bisherige Initiativen haben keinen durchschlagenden Erfolg gebracht. Aber das müssen wir jetzt einfach zur Hauptaufgabe machen. Wir müssen unsere finanzielle Abhängigkeit vom Bund reduzieren!“

Und noch ein weiteres Thema erklärte Gerster für die kommende Legislaturperiode zur Chefsache: den Generationswechsel im Präsidium. Er wäre kein Politiker, wenn er zunächst nicht anerkennende Worte gefunden hätte: „Es gab eine lange Phase der Kontinuität im DSAB, auch was das Führungspersonal anbelangt.“ Aber dann brachte er es auf den Punkt: „Eine große Aufgabe der nächsten drei Jahre wird es sein, den anstehenden Generationswechsel optimal zu gestalten: Wir müssen junge, kompetente und engagierte Leute mit interessanten Ideen ins Präsidium holen, am besten auch qualifizierte Frauen. Vier meiner wiedergewählten Präsidiumskollegen sind über 65 Jahre alt. Wir dürfen vor dieser Problematik nicht die Augen verschließen. Niemand soll in drei Jahren innerhalb von einer Woche von null auf hundert durchstarten müssen. Wir müssen einen Übergang mit gegenseitigem Austausch hinkriegen. Je früher wir damit anfangen, desto besser! Auf manchen Positionen wird uns das aber trotz aller Bemühungen vielleicht nicht gelingen. Zum Beispiel beim Vize-Präsident für Finanzen und Verwaltung: Ich glaube nicht, dass wir nochmals das Glück haben werden, jemanden wie Dieter Mertes zu finden, der sich in diesem Job auskennt und das alles ehrenamtlich macht. Hier müssen wir den Übergang zu einer professionellen Verwaltungsstruktur schaffen. Dies wird nicht einfach, zumal bei den begrenzten Mitteln des Verbandes. Es ist trotzdem alternativlos.“

Zum Abschluss seiner Rede lobte Gerster seine Präsidiumskollegen für die hervorragende Zusammenarbeit während der letzten drei Jahre. Als Dank und als kleine Motivation für die nächste Amtszeit hatte er sogar für jeden ein kleines Präsent dabei.

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Category: Personalien und Verbandsangelegenheiten

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