Varna, Tage danach: Zensuren für Ausrichter und Veranstalter

| 4. November 2011 | 6 Comments

Pflicht erfüllt, Kür verweigert.

So, das ist nun aber endgültig der letzte Bericht „aus Varna“. Nach so viel Berichterstattung über die Wettkämpfe widmet sich dieser Text zur Abwechslung der Leistung von Ausrichter und Veranstalter. Muss ja auch mal erwähnt werden…

Unterkunft top, Verpflegung lecker, Bustransfers okay, Partys spitze! Die Wettkampforganisation (Ablauf, Akkreditierung etc.) haben die Ausrichter auch ganz gut hinbekommen. Bis dahin gibt’s gute Zensuren.

Ein unwürdiger Rahmen

Aber was für eine Wettkampfhalle haben sich die Bulgaren da ausgesucht? Dass der Palace of Culture and Sports jetzt abgerissen werden soll, dass die Europameisterschaft der Sportakrobatik die letzte größere Veranstaltung gewesen sein soll, sagt ja bereits alles. Nur von außen und mit einigem Abstand sah die Wettkampfhalle gut aus. Nicht aber aus der Nähe oder gar von innen: Dem zweifellos einstigen Schmuckstück merkte man an allen Ecken und Enden an, dass seit der Erbauung 1968 kein Handstrich mehr gemacht worden sein dürfte. Fenster gab’s zwar keine, dennoch konnte man sich in einigen Ecken über Tageslicht freuen – dank Rissen und Spalten in Wänden und Decken. Dass sich auf den steilen Treppen zu den Tribünen (natürlich ohne Geländer, dafür immer mal wieder mit Stolperfallen) niemand das Genick gebrochen hat, grenzt an ein Wunder. Sanitäranlagen – reden wir nicht drüber…

Das alles hätte eine liebevolle Gestaltung vergessen machen können. Diese Gelegenheit verpassten die Ausrichter aber. Stattdessen stellten sie zum Beispiel ein Siegerpodest auf (und immer mitten ins Blickfeld), gegen das die uralte Halle sogar noch hübsch wirkte.

Fazit zum Wettkampf: Pflicht erfüllt, Kür verweigert. Aber gerade bei einer Europameisterschaft in einer Sportart wie der Sportakrobatik, wo es so sehr auf Ästhetik ankommt, reicht das eben nicht.

Und dann auch noch diese wirklich blamable Siegerehrung bei der Jugend-EM – eine reine Lachnummer: falsche Fahnen, falsche Namen, falsche Disziplinen… Traurig für die Sportler!

Desinteresse an der Jugend-EM

Apropos Jugend-EM: Ist sie eigentlich nur ein lästiges Anhängsel oder tatsächlich die Europameisterschaft der 11- bis 16-Jährigen – wenn auch unter einem bescheuerten Namen? So richtig schien die Jugend-EM nämlich niemanden zu interessieren: Nicht die UEG (beispielsweise die Geschäftsleitung oder die Pressetante, geschweige denn den Präsidenten – sie kamen alle erst zu den Junioren und Senioren) und auch nicht die Ausrichter, für sie hatte die Jugend-EM wohl eher den Charakter einer Generalprobe: Auf den offiziellen Plakaten wurde die Jugend-EM nicht mal erwähnt.

Selbst beim Deutschen Sportakrobatik Bund geht dieses Desinteresse nahtlos weiter: Auf der Webseite wird bis heute der Medaillenerfolg von Tim Sebastian und Rosa Löhmann mit keinem Wort erwähnt – man findet übrigens auch nichts über das Abschneiden der deutschen Junioren und Senioren.

Last but not least: Von den (gegen Ende immerhin doch einigen) Zuschauern wurde zu keinem Zeitpunkt Eintritt verlangt. Weder bei der Jugend-EM noch bei den Junioren und Senioren. Wenn das nicht Bände über das Selbstverständnis der Ausrichter, der Veranstalter und vielleicht sogar der europäischen Sportakrobatik insgesamt spricht…

Sehnsucht nach der FIG

Dem Vergleich mit Weltmeisterschaften halten Europameisterschaften sowieso nicht stand, wahrscheinlich schaut die FIG den Ausrichtern schlichtweg genauer auf die Finger. Aber dass es selbst in den Bereichen schlechter läuft, in denen es bei Weltmeisterschaften ständig Probleme gibt, ist doch bemerkenswert: In Sachen Wettkampfauswertung ist es den Veranstaltern tatsächlich gelungen, ein noch schlechteres System als das des FIG-Partners Longines zu wählen. Ein Problem jagte das nächste, die Systembetreuer waren fast ununterbrochen auf Achse.

Nun aber zum Wettkampf selbst: Die UEG wäre gut beraten, sich hundertprozentig an die Regeln der FIG zu halten. Denn wenn die Europäer abweichen, wird es meist nicht besser: Als Beispiel wurde auf dieser Webseite die Regelung zur Vergabe bzw. Anzahl der Finalplätze bereits angeführt. Und auch die „kleinen“ Finals zählen dazu: Über diese Regelungen freuen sich zwar die Nationen: Sie schneiden mit mehr Medaillen zumindest scheinbar erfolgreicher ab – vielleicht können sie so zu Hause leichter Fördergelder abgreifen. Die Attraktivität der Veranstaltung sinkt aber ins Bodenlose. Fünf Tage Wettkampf quasi rund um die Uhr bei den Junioren und Senioren sowie zwei weitere bei der Jugend sind eine Zumutung nicht nur für die Aktiven, sondern auch für alle anderen Beteiligten und natürlich potenzielle Zuschauer und Medienvertreter.

Die Sportakrobatik braucht Transparenz!

Wo die UEG der FIG tatsächlich mal zeigen könnte, wie man es besser macht, wäre in punkto Transparenz: Aber davon will ja in der Sportakrobatik niemand etwas wissen, weder bei der UEG noch der FIG: Aktivensprecherin Sabrina Hegele soll in einer der letzten Sitzungen des Technischen Komitees der FIG für Sportakrobatik beantragt haben, dass Sportler nachfragen können, wofür sie ggfs. Abzug vom Hauptkampfrichter bekommen haben. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Dabei wäre dies nur ein klitzekleiner Schritt in die Richtung, in die die Sportakrobatik dringend aufbrechen muss. Wann wird die FIG endlich einsehen, was diese Sportart mehr braucht als alles andere? Transparenz!

Auch wenn manche Kampfrichter versichern, dass bei der EM kaum eine Wertung von Hauptkampfrichtern oder Jury korrigiert wurde: Beim Zuschauer entsteht zwangsläufig der Eindruck von Mauschelei, wenn er die ständigen Debatten im Kampfgericht beobachtet. Warum muss nicht jeder Kampfrichter sofort seine Note öffentlich zeigen? Wenn die Hauptkampfrichter oder die Jury berechtigten Grund zur Korrektur haben (beispielsweise weil die einzelnen Wertungen nicht innerhalb der vorgeschriebenen Toleranz liegen), ist das doch kein Problem. Die Kampfrichter würden sich dann auch ganz genau überlegen, ob sie offensichtlich bescheißen. Stattdessen erfährt man bestenfalls über viele Ecken, wann und wie Hauptkampfrichter oder Jury eingegriffen haben und sogar, ob und welche Kampfrichter verwarnt oder gar disqualifiziert wurden und warum. Aber genau diese Intransparenz, die Mauscheleien ermöglicht, wollen die Mächtigen offenbar…

 

Turnanzug und Gymnastikanzug Sulvinja

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Category: EM 2011 in Varna

Comments (6)

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  1. Werner sagt:

    Insgesamt eine Top Berichterstattung, Sebastian!

  2. Kittenheel sagt:

    [quote name=“fan“]Wurde die DSAB-Seite eingestellt?[/quote]

    … ist da überhaupt noch jemand? Was ist mit der Leistung von Rosa und Sebastian, warum erscheint die nicht auf der DSAB-Seite?

    Das ist so derart peinlich…. soviel zum Thema Nachwuchsarbeit und Leistungswürdigung.

  3. Kittenheel sagt:

    Lesen werden sie ihn schon, aber es wird wie immer kein Kommentar kommen und beim DSAB wird sich, auch wie immer, nichts ändern.

    Der einzige, der hier Mut und Mumm hat, ist Basti. Und das auf eigene Kosten… eigentlich peinlich für die sonstigen Funktionäre.

    Basti, danke für Dich und Deine hervorragende Arbeit!!!!!!!!!!!!!!

  4. fan sagt:

    Wurde die DSAB-Seite eingestellt?

  5. Jay sagt:

    Hoffentlich lesen die Veantwortlichen diesen Bericht auch…..!!

  6. Marion sagt:

    Hammer Bericht Sebastian. Man könte es nicht besser formulieren.

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