Tonya Case: Weltmeisterschaften jedes Jahr und mit Mehrkampf-Medaillen

| 23. Februar 2012 | 2 Comments

Tonya Case

Das Technische Komitee für Sportakrobatik in der FIG hat letztes Wochenende in Aalen getagt. „Es fühlt sich an wie eine Rückkehr zu unserem Ausgangspunkt, denn früher, als Kurt Becker [ehemaliger Präsident des Deutschen Sportakrobatik Bundes] noch Mitglied des Technischen Komitees war, haben wir viel Zeit in Deutschland verbracht“, sagt Präsidentin Tonya Case. Ein Interview über die Weltmeisterschaften, die Entwicklung der Sportakrobatik, den neuen Code of Points und die neuen Tables of Difficulty sowie die Zukunft der Welt Cup Serie.

Schipfel: Die Weltmeisterschaften 2012 in Orlando liegen vor uns. Welche Erwartungen hast Du?
Case: „Ich bin aufgeregt. Zum ersten Mal seit dem Zusammenschluss der IFSA und der FIG im Jahr 1998 finden Weltmeisterschaften außerhalb Europas statt. Zum ersten Mal sind sechs Nationen aus der Pan American Gymnastics Union am Start. Brasilien, Mexiko und Kolumbien sind zum allerersten Mal dabei. Das ist eine beachtliche Verbesserung. Ich war wirklich besorgt, dass die Teilnehmerzahlen zurückgehen würden, weil wir nicht in Europa sind. Denn ich weiß, dass die Reise in die Vereinigten Staaten viel mehr kostet. Aber im Moment ist die Zahl der Meldungen sogar noch höher als zu den letzten Weltmeisterschaften in Polen. Die Anzahl der teilnehmenden Länder ist gestiegen, die Anzahl der Sportler ebenfalls. Das ist wirklich aufregend, weil das ein riesiger Meilenstein in Bezug auf die Entwicklung unserer Sportart ist.“

Schipfel: Was ist die nächste Entwicklungsstufe?
Case: „Momentan ist für unsere Sportart am wichtigsten, dass viele Länder an Weltmeisterschaften teilnehmen. Konkret haben wir mehr als 40 Nationen, die zu internationalen Wettkämpfen fahren, aber bei Weltmeisterschaften haben wir nur 26 Nationen, die in der Altersklasse Senioren antreten. Also ist es nötig, dass diese restlichen 14 Nationen, die schon internationale Wettkämpfe besuchen, ebenfalls bei Weltmeisterschaften antreten. Und dann gibt es noch weitere 10 bis 15 Länder, die gerade dabei sind, mit Sportakrobatik anzufangen.“

Schipfel: Hängt die Entwicklung der Sportakrobatik nicht vom der Fairness der Kampfrichter ab?
Case: „Ich war sehr zufrieden mit der Arbeit der Kampfrichter im Finale der letzten Weltmeisterschaft. Ich finde, alles war sehr fair und genau. Und ich war auch sehr zufrieden mit der Arbeit der Kampfrichter beim Welt Cup Finale in Forli. Und deshalb muss ich einfach darauf vertrauen, dass die Kampfrichter bei den nächsten Weltmeisterschaften genauso gut arbeiten. Ich glaube, sie wissen, was faire Wertungen sind, und ich glaube, dass inzwischen jeder einsieht, dass nur faire Wertungen unsere Sportart voranbringen. Alles andere schadet uns wirklich auf jeder Ebene.“

Schipfel: Wird unsere Generation erleben, dass Sportakrobatik eine olympische Disziplin wird?
Case: „Wenn Du mich das vor vier Jahren gefragt hättest, hätte ich nein gesagt. Aber unsere große Entwicklung in den letzten drei Jahren zeigt: Wenn wir so weitermachen, ist die Hoffnung, dass wir olympisch werden, berechtigt. Wann es so weit ist, kann ich nicht sagen. Aber wir haben bewiesen, dass unsere Teilnehmerzahlen steigen. Wir brauchen 60 oder 70 Länder und das dauert natürlich. Aber dass wir olympisch werden, ist jetzt eine realistische Erwartung. Früher nicht. Die Nationen haben verstanden, was unsere Mission ist. Dass es uns nicht weiterbringt, wenn sie sich bei Europameisterschaften präsentieren, aber nicht bei Weltmeisterschaften. Und es bringt uns auch nicht weiter, wenn sie nur zu internationalen Wettkämpfen in der Nähe fahren, aber nicht zu den Weltmeisterschaften kommen.“

Schipfel: Will die Führung der FIG, dass Sportakrobatik eine olympische Disziplin wird?
Case: „Das ist immer ein komplizierter, ja sogar politischer Prozess. Denn: Wo kommen die Startplätze bei den Olympischen Spielen her? Die FIG müsste für die Turnsportarten insgesamt mehr Startplätze vom IOC verlangen. Oder wir müssten die Startplätze von anderen (Turn-)Disziplinen beanspruchen. Es gibt keine einfache Lösung.“

Schipfel: Was sind die wichtigsten Themen hier bei Eurer Sitzung des Technischen Komitees in Aalen?
Case: „Wir haben zwei Hauptthemen. Erstens die Tables of Difficulty, weil unsere Freunde aus Deutschland [Vitcho Kolev, Albert Jung und Frank Böhm, Anm. d. Red.] uns dabei helfen, vor allem bei den Paaren ein leichteres System zu schaffen die Value zu berechnen. Und wir berücksichtigen die Anregungen der Experten, mit denen wir beim Acro Symposium in Berlin gesprochen haben: Wir prüfen die Value der Elemente und nehmen Änderungen vor, wenn wir es für angemessen halten. Das ist eine Riesenarbeit. Zweitens haben wir noch nicht alle Probleme mit der Artistikwertung vollständig gelöst und müssen das vollenden.“

Schipfel: Wann werden der neue Code of Points und die neuen Tables of Difficulty veröffentlicht?
Case: „Wir geben sie nächste Wochen dem Exekutivkomitee der FIG. Sobald das Exekutivkomitee mit dem Code of Points und den Tables of Difficulty zufrieden ist, gehen sie raus an die Länder zur Prüfung. Also schätze ich, dass sie in ein paar Monaten zur Prüfung veröffentlicht werden, die Endfassung wird erst im Januar 2013 nach dem interkontinentalen Kampfrichterkurs veröffentlicht.“

Schipfel: Früher gab es „kleine“ Finals in Balance und Tempo. Die Europameisterschaften sind zu diesem System zurückgekehrt. Sehen die künftigen Codes of Points für Weltmeisterschaften ebenfalls „kleine“ Finals vor?
Case: „Zurzeit nicht. Als wir uns mit der FIG zusammengeschlossen haben und weniger als 20 Nationen an den Weltmeisterschaften teilgenommen haben, haben immer dieselben drei Nationen diese drei Medaillen pro Kategorie untereinander aufgeteilt – manchmal vielleicht auch noch eine vierte Nation. Die FIG hat diese drei Medaillen pro Kategorie nicht für sonderlich wertvoll gehalten, denn wenn man sie ohnehin nur untereinander tauscht, warum braucht man dann drei Wertungen pro Kategorie, wenn eine das wahre Niveau abbildet. Wir Sportakrobaten sehen natürlich einen Riesenunterscheid zwischen Balance und Tempo. Die FIG sieht diesen Riesenunterschied nicht, weil sie immer noch die Ansicht vertritt, dass wir an einem einzigen Gerät arbeiten: nämlich dem Boden. Wir Sportakrobaten wissen, dass Paare oder Gruppen, die sehr stark in Balance sind, nicht unbedingt stark in Tempo sein müssen und umgekehrt.“

Schipfel: Dann bleibt also das Wettkampfprogramm bei den Weltmeisterschaften unverändert?
Case: „Nach den Diskussionen mit allen Experten beim Acro Symposium in Berlin ist es eine Sache, dass es nur ein „großes“ Finale gibt. Die andere Sache ist: Die Trainer und Sportler haben auch das Gefühl, dass der Wert dieser einen Medaille geringer geworden ist, weil es keine Mehrkampf-Medaille mehr ist. Was mir bei den Europameisterschaften in Bulgarien gefallen hat: Wenn jemand in der Tempo-Übung gestürzt war, hat er im Mehrkampf-Finale kein Gold gewonnen. Bei dem System, das wir aktuell bei Weltmeisterschaften haben, kann man in Tempo stürzen. Solange man es unter die besten acht schafft, kann man weitermachen und im Finale die Goldmedaille gewinnen. Mir gefällt dieses System nicht. Die Trainer und Sportler sind der Meinung, dass, wenn es schon nur eine Medaille gibt, diese eine Mehrkampf-Medaille sein sollte: Sie wäre dann mehr wert. Diesen Vorschlag machen wir der FIG auf Grundlage des Feedbacks aus den Nationen.“

Schipfel: Hältst Du an der Welt Cup Serie fest, obwohl meistens kaum Teilnehmer kommen?
Case: „Die Welt Cup Serie ist eine Anstrengung für unsere Sportart, weil sie im Wesentlichen von den Sportlern finanziert wird. Es ist für uns eine Gelegenheit, mehrmals im Jahr Weltklasse-Wettkämpfe zu haben, aber die Teilnehmerzahlen sind natürlich nicht so, wie ich sie gerne hätte, und ich weiß auch nicht, ob sie das jemals sein werden. Es frustriert mich auch, dass wir so viele internationale Turniere haben und trotzdem darum kämpfen müssen, dass eine Welt Cup Serie zustande kommt. Wir haben eine Menge Nationen, die alle zu kleineren Turnieren wie zum Beispiel dem Volkov Cup in Russland gehen, die meiner Meinung nach stattdessen die Welt Cup Serie unterstützen sollten. Aus Sicht der FIG ist eine Welt Cup Serie für uns wichtig. Welt Cups sind Standard in jeder Sportart.“

Schipfel: Das Welt Cup Finale in Forli war anders.
Case: „Das war eine spezielle Einladung des FIG-Präsidenten Bruno Grandi [in seine Heimatstadt, Anm. d. Red.]. Jeder hat verstanden, dass das eine riesige Ehre für die Sportakrobatik war. Denn er hätte jede Disziplin auswählen können. Aber er hat uns eingeladen und die Länder haben erkannt, dass die Zukunft der Sportakrobatik auf gewisse Weise davon abhängt, dort erfolgreich zu sein. Deshalb war das Welt Cup Finale in Forli für uns ein riesiger Erfolg auf allen Ebenen. Das interessante an Forli war, dass die Zuschauer dort keinen Bezug zur Sportakrobatik hatten. Sie kamen aus der Stadt. Wenn uns so eine Gruppe stehende Ovationen gibt, dann wird einem klar, dass man etwas Besonderes hat, das die Leute berührt, sogar wenn sie noch nie zuvor Sportakrobatik gesehen haben. Für uns war das eine großartige Erfahrung. Es war ein wirklich besonderes Ereignis und ich weiß, dass jedes Land, das dort war – und leider war Deutschland nicht dabei – die Wichtigkeit und den Wert erkannt hat und einfach nur fantastische Erinnerungen mitgenommen hat. Für mich war es eines der Highlights meiner gesamten Laufbahn.“

Schipfel: Zum ersten Welt Cup der neuen Serie in Maia haben sich in drei Disziplinen wieder weniger als vier Länder angemeldet…
Case: „…und das ist ein Desaster für uns. Das bedeutet, dass es in diesen drei Kategorien keine Welt Cup Gesamtwertung geben wird, weil wir dieses Jahr nur drei Welt Cups in unserer Serie haben. Viele fanden einen Welt Cup zu diesem Zeitpunkt in der Saison als Vorbereitung auf die Weltmeisterschaften sehr interessant. Aber in der Praxis haben die Länder kein Geld um diesen Welt Cup zu finanzieren. Wir hätten die ganze Welt Cup Serie zwischen Juli und November legen sollen. Wahrscheinlich wäre diese Zeit besser gewesen. Aber offen gesagt erklärt jedes Land weltweit, dass es lieber jedes Jahr Weltmeisterschaften hätte statt einer Welt Cup Serie. Deshalb ist das unser Ziel. Wir haben der FIG diesen Vorschlag gemacht und wenn wir die Ausrichter finden, wird die FIG uns das auch erlauben. Die Ausrichtung der Weltmeisterschaften 2014 ist bereits sicher und wir arbeiten an 2015 und 2016. Dann hätten wir in drei von vier Jahren Weltmeisterschaften und nur im Jahr der World Games nicht.“
Schipfel: Vielen Dank für das Gespräch!

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Category: Personalien und Verbandsangelegenheiten

Comments (2)

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  1. inside job sagt:

    hallo fan,

    versuchs mal hier:
    https://disneytickets.disney.go.com/store/depi5/welcome.html

    für weitere fragen noch mal über akrobastisch.de anschreiben dann meine mail-adresse.

  2. FAN sagt:

    Apropos WM in Orlando
    Hat jemand schon herausgefunden wie man zu den Eintrittskarten für den Wettkampf kommt – also nicht nur die Seite aufrufen … sondern mehr eine praktische Anleitung zum Bestellen.
    Danke im voraus.

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