EM-Bilanz (2): Top-Nationen ohne Konkurrenz. England – Deutschland 34:1

| 2. November 2013 | 0 Comments

Englands Junioren-Herrengruppe während einer atemberaubenden Tempo-Serie

30 Medaillen für Russland, 24 für England. Von (übrigens aberwitzigen) 90 möglichen Medaillen allein bei den Junioren und Senioren blieben dem Rest des Kontinents nur 36. Russland und England dominieren nach wie vor die weltweite Sportakrobatik und die europäische natürlich erst recht. Die Schere zwischen diesen beiden Top-Nationen und allen anderen wird sogar immer noch größer.

Russland, das alle Kategorien besetzt hatte, hat tatsächlich auch überall eine Medaille gewonnen – kein einziger Ausrutscher! England (ohne Senioren-Herrengruppe) hat nur drei mögliche Medaillen verpasst.

Vier weitere Nationen durften drei von 30 Gold- und neun von 30 Silbermedaillen unter sich teilen: Weißrussland, Portugal, die Ukraine und Belgien. Von den Bronzemedaillen fiel dann immerhin auch noch für Polen und Bulgarien je eine ab.

Bei der Jugend in den Altersklassen 11-16 und 12-18 Jahre war es sogar noch absoluter: Alle Gold- und Silbermedaillen gingen an Russland und England.

Die „Konkurrenz“ hat angesichts dieser Zahlen den Namen kaum verdient. Die Ukraine war diesmal vergleichsweise wirklich schwach. Weißrussland und Belgien überzeugen neben immerhin je einer Goldmedaille immerhin mit den besten Choreografien weit und breit. Und man muss Belgien zu Gute halten, dass wenigstens die Quote stimmt: Im Lauf des Jahres musste Belgien bei den Senioren nach und nach den Start seines Mixed Paares (Cirque du Soleil), seiner beiden Trios (neue Oberpartnerin bzw. medizinisch bedingtes vorläufiges Karriereende) und seiner Herrengruppe (Karriereende) canceln. Mit am Ende nur jeweils einem Paar bei den Junioren und Senioren holte Belgien vier Medaillen – eigentlich sogar fünf, wenn man den lächerlichen Größenabzug für das Mixed Paar wieder aufaddiert.

Die acht Medaillen für Portugal, darunter einmal Gold, darf man getrost als Heimvorteil verbuchen.

Deutschland redet sich raus…

Die folgenden Zeilen sollen auf keinen Fall das hervorragende Abschneiden Deutschlands vor allem in der Altersklasse Jugend relativieren. Aber man darf ja wohl auch mal in Richtung Weltspitze schielen.

England hat in Portugal 34 Medaillen gewonnen, Deutschland eine. Warum kann Deutschland mit England nicht ansatzweise mithalten? Der deutsche Tenor, ganz besonders im Spitzenfachverband: Die Engländer hätten eine bessere Sportförderung und mehr Geld. Mit diesen Rahmenbedingungen wären wir genauso gut.

So ähnlich hört man das ständig. Das ist aber lediglich eine billige Ausrede. Wer die Engländer quasi als Berufsakrobaten darstellt, die nichts anderes tun außer zu trainieren, erzählt Mist. Vielleicht trifft das auf die russischen Akrobaten zu, wer weiß. Leider kann ich kein Russisch. In Bezug auf England ist das Quatsch! Profis sind dort (auch) nur die Trainer.

Adam McAssey ist hauptberuflicher Trainer im Heathrow Gymnastics Club und dort auf dem besten Weg, Chefcoach Neil Griffith sogar noch zu überflügeln: Seine Herrenpaare und Herrengruppen (im Bild die Junioren während einer atemberaubenden Tempo-Serie) sind einfach nur Wahnsinn. „Unsere Sportler gehen auf ganz normale und unterschiedliche Schulen“, sagt McAssey. „Wir trainieren zweimal pro Woche vor der Schule, von 6.45 Uhr bis 8.15 Uhr, und unter der Woche täglich abends. Insgesamt 20 Stunden pro Woche.“ Und wenn die älteren Sportler einmal nicht mehr zur Schule gehen? „Der Untermann meines Junioren-Herrenpaares zum Beispiel arbeitet ganz normal als Gerüstbauer.“

Kurzer Exkurs zum Trainingsumfang: Die belgische Nationalmannschaft trainiert sogar 28 Stunden pro Woche. Noch deutlich mehr als er selbst seinerzeit in der Ukraine trainiert habe, erzählt Slavik Kosakovsky, einer von zwei Profitrainern im Topsportzentrum Gent. Das sei nötig, weil die Sportler relativ spät aus den Heimatvereinen ins Topsportzentrum wechseln. Da müssten dann erst mal viele Grundlagen nachgeholt bzw. ausgebessert werden, was zu Hause verpasst wurde – gleichzeitig sollen die Sportler innerhalb von nur ein oder zwei Jahren in der Weltspitze turnen. Würden die beiden Spitzentrainer in Gent die Sportler von klein auf ausbilden, wären 20 Stunden pro Woche wie in England genug.

Zurück zu England: Außer den Senioren, die auf Kosten des Verbandes starten, bezahlen in England übrigens alle Sportler ihre EM-Teilnahme komplett selbst. Apropos Geld: 190 Pfund beträgt in Heathrow die monatliche Gebühr in der höchsten Leistungsgruppe. Von diesem Geld werden die Trainer bezahlt. Wer es sich nicht leisten kann, hat Pech. Zwei Vollzeit- und ein Teilzeit-Trainer arbeiten mit den rund 35 Akrobaten, einmal pro Woche gibt’s Ballett. Zwei Choreografinnen kommen gelegentlich und erstellen neue Übungen.

England hat kein besseres System als wir, eher im Gegenteil.

Aber was sind dann die englischen Erfolgsfaktoren? Man brauche vor allem Disziplin (Anwesenheit: „No excuses!“, Pünktlichkeit, Respekt, Figur etc.), Arbeitsmoral (Wille, Anspruch, Ehrgeiz, Ziele, Einsatz, Fleiß, Engagement etc.) und Spitzentrainer bzw. entsprechende Aus- und Weiterbildung, sagt McAssey.

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Category: EM 2013 in Lissabon

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