Baku-Fazit: Olympia noch nie so nah gewesen

| 22. Juni 2015 | 4 Comments

Baku-Fazit: Olympia noch nie so nah gewesen

Die Europaspiele in Aserbaidschan sind (für die Sportakrobaten) schon wieder Geschichte. Es war großartig! Baku war der erhoffte Meilenstein für unsere Sportart.

Noch nie waren wir Olympia so nah. Im doppelten Sinn: Zum einen hat Baku mit unglaublich viel Aufwand und Professionalität für olympisches Flair gesorgt. Eröffnungsfeier, Athletendorf, Sportstätten, Rahmenprogramm, Organisation, Logistik usw. versprühten weit mehr als nur einen Hauch von Olympia. Als Teilnehmer, Funktionär oder auch Fan einer nicht-olympischen Sportart fliegt man regelrecht angefixt nach Hause und will unbedingt auch mal „echte“ Olympische Spiele miterleben.

Zum anderen hat sich die Sportakrobatik hier in Baku hervorragend präsentiert und garantiert viele neue Unterstützer gewonnen: Bei den anderen (Turn-)Sportarten und deren Fans, bei Fotografen, Journalisten und durch sie auch in der Öffentlichkeit. Ich habe ausschließlich positive Resonanz auf unsere Sportart gehört. Beim Mehrkampf-Finale war EOC-Präsident Patrick Hickey da und ehrte höchstpersönlich die Mixed Paare. Das ist in etwa, wie wenn Sepp Blatter den Tischfußball-Weltmeister kürt.

Einzelkämpfer Igor Blintsov

Im Athletendorf konnten deutschlandintern viele Kontakte zu den anderen Turndisziplinen geknüpft werden, die sich sowohl auf Sportler- als auch auf Trainer- und Kampfrichterebene bestimmt noch als hilfreich erweisen. Großes Lob bekam Sven Karg, der Leiter der DTB- (und damit auch DSAB-)Delegation, der seinen Job offenbar absolut perfekt gemacht hat.

Das Einzige, was rund um die deutsche Delegation negativ auffiel, ist, dass alle anderen Sportakrobatik-Nationen, die zwei Formationen am Start hatten, auch zwei oder gar drei Trainer akkreditiert hatten. Igor Blintsov war der einzige, der unsere beiden Formationen sportakrobatikspezifisch allein betreute.

Ob anders mehr herausgesprungen wäre, ist aber sehr fraglich. Die deutsche Sportakrobatik hat sich in Baku gut verkauft. Mehr als jeweils ein Platz weiter vorne ist absolut unrealistisch. Leider sind wir nicht ansatzweise so nah an der europäischen Spitze wie die deutschen Turner und Trampoliner. Platz acht (von neun) für Nikolai Rein und Sophie Brühmann sowie neun (von elf) für Katharina Bräunlich, Laura Jolitz und Flora Sochor bedeuten, dass wir bei den Verfolgern mithalten können. Die Spitzengruppe ist allerdings deutlich entrückt und zählt sechs oder sieben Nationen. An Finals oder gar Medaillen ist derzeit im Seniorenbereich nicht zu denken. Die rund vier Punkte, die mitunter bis ganz nach oben fehlen, sind eine Welt.

Geteilter Gesamtsieg

Sowohl bei den Damengruppen als auch bei den Mixed Paaren gab’s dreimal das genau gleiche Siegerfoto. Abwechslung geht anders. Da hätte es eigentlich keine eigenen Finals für Balance und Tempo gebraucht. Den Gesamtsieg im Akro-Medaillenspiegel teilten sich Russland und Belgien mit je dreimal Gold und dreimal Silber. Weißrussland und England gewannen je dreimal Bronze.

Belgien ganz oben angekommen

Ja, Belgien hat es (endlich) ganz nach oben geschafft. Beste Damengruppe Europas – und damit auch der Welt. Eigentlich war die Kombination von Julie van Gelder, Ineke van Schoor früher mit Laure Maes besser, aber mit Kaat Dumarey gelang jetzt der finale Durchbruch. Sicher auch dank der Tatsache, dass Russland ein ganz neues Senioren-Trio vorstellte: Yulia Nikitina (18), Zhanna Parkhometc (17) und Valeri Belkina (15) brauchen noch ein bisschen Zeit, bis sie Belgien vielleicht schlagen können.

Fans von sauberen Landungen bei Tempo-Elementen kamen so richtig erst beim Bronzerang und damit Weißrussland mit Katsiaryna Barysevich, Veranika Nabokina und Karina Sandovich auf ihre Kosten. Sie hatten entsprechend die beste Techniknote im Tempo-Finale. Aber die höhere Schwierigkeit der Gegner (und im Fall von Belgien) die außergewöhnliche artistische Performance gaben den Ausschlag. Wobei Weißrussland fast schon traditionell auch wunderbare Choreografien im Repertoire hat.

Nicht zu einer Medaille gereicht hat es für die Ukraine, was insbesondere für Nadiia Kotliar schade ist. Selten hat ein Mitglied eines Trios ihre beiden Partnerinnen so sehr in den Schatten gestellt wie sie. Ihr sieht man den Spaß an ihrem Sport so richtig an.

Russisches Mixed Paar bombastisch

Eingeschlagen wie eine Bombe hat die neue russische Kombination von der amtierenden Weltmeisterin Marina Chernova (mit Revaz Gurgenidze) mit Georgy Pataraya. Drei völlig unangefochtene Titel. Ein schwierigeres Programm habe ich noch nie gesehen. Und es wirkt kein bisschen unsicher. Geschweige denn, dass die beiden bei einem ihrer Elemente mal kämpfen müssten. Dafür verzichten sie in Tempo und Kombi quasi komplett auf Choreografie und laufen so auch nicht Gefahr, dass sie in dieser Kategorie einen Vergleich mit den dreifachen Zweitplatzierten aus Belgien Solano Cassamajor und Yana Vastavel haushoch verlieren. Schon irgendwie lässig…

Das englische Mixed Paar, das dreimal Bronze gewann, gefällt mir nicht. Hannah Baughn ist einfach viel zu schmal und klein für Ryan Bartlett. Man hat das Gefühl, da turnt ein 25-Jähriger mit einer Neunjährigen.

„Aserbaidschanisches“ Duo ein Fehlkauf

Aserbaidschan hat versagt. Das ist deshalb bemerkenswert, weil bei diesen Spielen die wenigsten Sportler des Gastgebers auch tatsächlich aus Aserbaidschan sind. Baku war shoppen! Das Mixed Paar Anatoly Leonov und Uliana Diakova zum Beispiel startete noch bis 2014 für Russland. Sie waren allerdings ein Fehlkauf. Mit ein bisschen Sachverstand hätte sich Baku da locker ein besseres russisches Duo einkaufen können. Eines, das nicht so oft patzt, sondern die (trotzdem) hohen Wertungen auch wirklich verdient. Bei den Turnern ist den Gastgebern mit dem fünffachen Medaillengewinner Oleg Stepko aus der Ukraine definitiv ein besserer Einkauf gelungen. Zum Titel am Barren allerdings mussten auch ihm die Kampfrichter verhelfen.

Einfach nur unsportlich ist die Aktion der Bulgaren: Weil sie im Mehrkampf nach einer Balance-Übung mit drei Stürzen keine Chance mehr hatten, traten sie erst gar nicht an, sondern schoben eine Verletzung vor. Zum Tempo-Finale waren sie wieder fit. Hoffentlich merken sich das die Kampfrichter.

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Category: Europaspiele 2015 in Baku

Comments (4)

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  1. Maren sagt:

    Ich muss sagen Sebastian du hast uns super auf dem Laufenden gehalten!
    Um so trauriger finde ich es, dass auf der offiziellen DSAB-Seite außer der Info, dass Baku bei den Veranstaltungen aufgeführt ist, NICHTS zu Baku geschrieben wurde. Vielleicht sind die Berichte zu diesem für uns so wichtigen Ereignis aber auch irgendwo blöd versteckt und ich finde sie nicht…dann will ich hier nichts ankreiden, außer dass sie auf die Startseite gehören.
    Aber die DSAB-Seite ist ja das erste was vielleicht auch Nichtakrobaten im Internet finden (sollten), um sich zum Thema Sportakrobatik informieren zu können.

  2. Sebastian Schipfel sagt:

    [quote name=“Leon“]Zum Finale selbst hätte allerdings in meinen Augen Weißrussland das Balance-Finale gewinnen müssen … sie haben eindeutig sauberer geturnt.[/quote]
    Stimmt. Auch in Balance hat vor allem die Schwierigkeit den Ausschlag zu Gunsten von Belgien und Russland gegeben.

  3. Leon sagt:

    Vielen Dank für deine tollen Berichte …
    Zum Finale selbst hätte allerdings in meinen Augen Weißrussland das Balance-Finale gewinnen müssen … sie haben eindeutig sauberer geturnt.
    Herzlichen Glückwunsch an alle unser Trio und Mix und alle die am Erfolg beteiligt waren.

  4. Martina sagt:

    Hallo Sebastian,
    vielen Dank für Deine schönen Berichte und Fotos.

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